Willensstärke und Kinderwunsch

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Regisseur Lukas Ladner im Interview über seinen Film Eva-Maria (2021), die Komplexität eines Kinderwunsches und die filmische Repräsentation von Menschen mit Behinderung. 


Lukas Ladner arbeitet als persönlicher Assistent von Eva-Maria Proßegger. Als sie sich entscheidet, ein Kind zu bekommen, entschließt er sich, ein filmisches Porträt der Protagonistin zu drehen: Eva-Maria. Darin beobachtet er eingehend alle Etappen vom Kinderwunsch bis zur gelebten Elternschaft mit körperlicher Behinderung. Im Interview gewährt uns Lukas Ladner Einblick in seine intime und vielschichtige Beziehung mit Eva-Maria, die ausschlaggebend für den Prozess des Filmemachens war. Mit TAKE spricht er über die Möglichkeiten und Grenzen des Dokumentarfilms: die Suche nach einer adäquaten Filmsprache, das Einfangen subtiler Formen von Diskriminierung und Gegenentwürfe zu stereotypen Darstellungen von Menschen mit Behinderung im Film.

Take

Wie sind Sie dazu gekommen, einen Film über den Kinderwunsch einer Frau mit körperlicher Behinderung zu drehen?

Lukas Ladner

Ich wollte nicht primär einen Film über dieses Thema drehen, sondern zur Repräsentation von Menschen mit Behinderung. Als Vorlauf haben Eva-Maria und ich uns Filme über Menschen mit Behinderung angesehen und viel darüber diskutiert, wie Menschen darin repräsentiert werden. Auffällig war, dass die Behinderung im Mittelpunkt steht: Sie wird nicht nur visuell stark ausgeschöpft, sondern ist der zentrale Konflikt. Sieht man mehrere von diesen Filmen, fragt man sich, warum die Protagonistinnen und Protagonisten nicht einfach eine Liebesgeschichte erleben oder eine Bank ausrauben – also warum Menschen mit Behinderung nicht dürfen, was wir uns in fiktionalen Arbeiten die ganze Zeit erlauben. Ich wollte lange einen fiktionalen Kurzfilm drehen, in dem ich Menschen mit Behinderung caste und nicht die Behinderung in den Mittelpunkt rücke. Dann kam Eva-Maria mit ihrer Schwangerschaft: Sie hat uns – ihre persönlichen Assistenten – darauf vorbereitet, dass sie diesen Schritt wagen wird. Für mich die ideale Gelegenheit, die Themen, die wir miteinander besprochen hatten, auszuprobieren.

Take

Wenn wir über die herkömmliche – oder fehlende – Repräsentation von Menschen mit Behinderung im Film sprechen, stellt sich auch die Frage, wie man sie filmisch abbildet.

Lukas Ladner

Wie man das formal unterstützt, war eine der ersten Fragen, die ich mir gestellt habe. Ich habe mir die Regel gesetzt, nicht die Behinderung an sich auszustellen, sondern immer den gesamten Menschen im Blick zu haben, nicht den Rollstuhl allein zu zeigen, nicht die technischen Hilfsmittel, sondern beim Gegenüber zu bleiben, möglichst auf Augenhöhe zu filmen und nicht zu versuchen, auf Eva-Maria herabzusehen. Es geht darum, die Dinge, die von außen als exotisch wahrgenommen werden, nicht auszustellen. Sehr hilfreich war, dass ich schon ein Dreivierteljahr für Eva-Maria gearbeitet hatte, das war also schon Teil meiner Welt und ich habe das mit einer bestimmten Normalität mitnehmen können.

Take
Take

Dass Sie mit der Protagonistin auf vielen Ebenen und in unterschiedlichen Beziehungskonstellationen involviert sind, ist maßgeblich für den Film. Wie sind Sie mit der Situation umgegangen, nicht nur persönlicher Assistent, sondern auch Filmemacher zu sein?

Lukas Ladner

Auf der Makroebene lebt der Film davon, dass ich immer dabei bin. Ich wollte die Möglichkeit nützen, als Assistent die ganze Zeit dabei zu sein: Wir hatten das Potenzial, möglichst alle Schritte von Eva-Marias Reise zu beobachten und nicht nacherzählen zu müssen. Das bedeutet aber auch, dass man das ganze Leben nach diesem Film ausrichtet. Oft sitzt man auf Nadeln, wartend auf diese kleinen Momente, um dann schnell da zu sein. Auf der Mikroebene ist es eine Form von Multitasking, wo man innerhalb von kurzen Abständen zwischen den unterschiedlichen Aufgabengebieten wechseln muss. Beim Dreh habe ich viel experimentiert, ich habe mir das Material immer wieder angesehen und habe versucht daraus zu lernen.

Take

Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Nähe zu Eva-Maria und die geschaffene Intimität dem Film letztendlich zugutekamen?

Lukas Ladner

Auf jeden Fall. Das war ein Grund, warum ich anfangs alleine gedreht habe: Es ist ein sehr intimes Thema und ich wollte eine möglichst starke Nähe herstellen. So konnten wir gemeinsam herausfinden, was uns guttut, was uns zu viel ist und was es heißt, Abstand mit der Kamera zu halten, ohne etwas zu verlieren. Das ist eine sehr emotionale Sache. Diese intime Qualität methodisch umzusetzen finde ich ganz schwierig.

Take

Der Film begleitet chronologisch alle Etappen des Kinderwunsches Eva-Marias bis hin zum Zeitpunkt, an dem ihr Sohn anderthalb Jahre alt ist. Ein sehr präsentes Thema ist die Frage, ob man ein Kind in die Welt setzen soll: Sie ist von viel Idealismus getragen, der vielleicht rückblickend gar nicht mehr in dieser Weise vorhanden ist. War die Idee dahinter, dass Eva-Maria als role model wirken kann?

Lukas Ladner

Natürlich war die Absicht da, einen positiven Gegenentwurf zu liefern. Aber es ging nicht darum, sie in dieser Vorbildrolle aufzuwerten. Es ging uns vor allem darum, auf einer narrativen Ebene alle Stränge zu bündeln: zum Thema Mutterschaft, Familie, Kindheit. Und dadurch einen klaren Gedanken mitzugeben, zu dem man dann stehen kann, wie man will: man kann das gut finden, aber auch dagegen sein. Mir war es wichtig, Eva-Marias Denkprozesse abzubilden und zu zeigen, warum das Thema für sie so wichtig ist. Viele aus meiner Generation fragen sich, ob sie überhaupt Kinder wollen oder ob sie sich das Kinderkriegen überhaupt leisten können. Für Eva-Maria ist die Entscheidung klar: Ich will Kinder bekommen, das ist mein großes Ziel! Damit ist sie ein Gegenentwurf zu meiner Generation – und das fand ich spannend.

Take

Sie haben mit dem Dreh begonnen, als der Kinderwunsch bereits sehr konkret war. Wie kam es zur Entscheidung, dass der Film nicht bei der Geburt des Sohnes endet, sondern der Lebensabschnitt als Mutter eines Kleinkindes im Film noch zu sehen ist?

Lukas Ladner

Es war uns wichtig, diesen Aspekt noch mitzuerzählen: Was heißt es, als Frau mit Behinderung ein Kind großzuziehen? Niemand kann sich das so richtig vorstellen, weil vorher alles nur hypothetisch ist und jeder Vorurteile und eigene Erwartungshaltungen hat. Zu sehen, wie souverän Eva-Maria es alleine schafft, hat dem Film extrem gutgetan. Das war ein guter Abschluss.

Take

Der für den Film titelgebende Name Eva-Maria ruft katholische Assoziationen hervor – und neben dem Empowerment einer klugen Person mit unbeugsamem Optimismus enthält der Film auch subtile Zwischentöne, in denen belastende gesellschaftliche Konventionen und über Generationen bestehende Diskriminierungsmechanismen widerhallen.

Lukas Ladner

Der Film sollte Empowerment ausstrahlen, aber gleichzeitig keine Propagandaschrift werden. Er sollte die Komplexität des Lebens abbilden. Eva-Marias Optimismus ist wirklich beeindruckend – auch zu beobachten, wie Diskriminierung an ihr abperlen kann. Wir haben andere Elemente im Film aufgenommen und dann wieder entfernt, weil nie jemand so richtig wahrgenommen hat, dass es dabei um Diskriminierung ging. Es klingt immer wie so ein Nicht-Problem. Ich wusste, dass Eva-Maria nicht in einer wohlbehüteten Bubble aufgewachsen ist, sondern mit Diskriminierung und strukturellen Problemen zu kämpfen hatte. Es war gar nicht so leicht, das einzufangen.

Take

Haben Sie sich auf dieser Suche beim Wunsch nach etwas Sensationalistischem ertappt?

Lukas Ladner

Das ist immer das Schwierige am Dokumentarfilm. Man hofft jeden Tag, dass die Welt untergeht und man noch mitfilmen kann. Aber das ist natürlich eine grundsätzliche ethische Frage: Wie weit gehe ich auf diese Momente ein, wie weit hake ich nach, wie viel will ich meinen Protagonistinnen und Protagonisten zumuten? Diese Fragen muss man von Projekt zu Projekt, von Person zu Person individuell entscheiden. Ich habe vorsichtig hin und wieder nachgefragt, aber wenn ich das Gefühl hatte, da ist eine Barriere, da will die Person nicht darüber sprechen, war das für mich ok.

Take
Take

Der Film ist gerahmt von idyllisch besetzten, traditionsgeladenen Landschaftsaufnahmen Tirols. Diese Berglandschaften können für Viele einengend wirken – im Leben von Eva-Maria bedeuten sie Freiheit. Hatten Sie die Absicht, diese Landschaft anders zu kodieren?

Lukas Ladner

Das hat zwei Gründe: Zum einen war es mein Anspruch, dass die entstandenen Bilder immer mit Eva-Maria zu tun haben. Deshalb sieht man nie die schöne Altstadt von Innsbruck, weil Eva-Maria eben nie in der Altstadt ist. Ich habe immer versucht, ihre Wege nachzuzeichnen. Aber es stimmt schon, ich habe als Filmemacher selbst lange nicht gewusst, wie ich mit den Bergen umgehen soll, gerade wenn man in Tirol aufgewachsen ist. Diese Berge sind ästhetisch komplett domestiziert und touristisch überformt. Früher habe ich die Berge abgelehnt, erst als ich nach meinem Studium wieder nach Innsbruck gekommen bin, habe ich versucht, mich neu damit auseinanderzusetzen und sie anders aufzuladen.

Take

Haben sich aus Ihrer Auseinandersetzung mit Eva-Maria Ideen für zukünftige Projekte ergeben?

Lukas Ladner

Was mich an der Arbeit als persönlicher Assistent immer fasziniert hat, ist diese körperliche Intimität, die man in gewissen Berufen zwangsläufig teilt und die von außen anders wahrgenommen wird als sie von innen ist. Zwischen körperlicher Nähe und emotionaler Distanz im Balanceakt zwischen sich selbst und den eigenen Klientinnen und Patienten entsteht eine Reibung, die nicht absolut ist, sondern immer wieder ins Gegenteil umschlagen kann. Das ist das Thema meiner nächsten Doku. Es wird ein Arbeiterporträt über Intimität, in dem ich der Frage nachgehe, was Intimität eigentlich ist.

Take

LUKAS LADNER, 1991 in Innsbruck geboren, studierte Film- und Fernsehregie an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Er schloss das Studium 2017 mit seinem Kurzfilm Treibgut ab. Sein erster Langdokumentarfilm Eva-Maria feierte die Weltpremiere beim DOK.fest München und wurde 2021 mit dem Diagonale-Preis für den Besten Nachwuchsfilm ausgezeichnet. Aktuell arbeitet Lukas Ladner als Startstipendiat des österreichischen Bundesministeriums für Kunst und Kultur (BMKÖS) an seinem nächsten Dokumentarfilmprojekt, einem Arbeiterporträt zu Intimität.

Text Doris Posch
Foto Andreas Jakwerth
Veröffentlicht am 14.01.2022

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