„Mit weiblicheren Drehbüchern, diverseren Hauptfiguren.“

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Nancy Camaldo studiert gerne das Innenleben ihrer Figuren. Um bessere Geschichten zu erzählen, plädiert die Regisseurin für mehr Inklusion in der Filmbranche.

Das Verhältnis zwischen Lara und Ida ist kein leichtes, aber nun scheinen sich endlich die Wogen zu glätten. Bis die Geschichte der beiden Schwestern eine überraschende Wende nimmt. So lässt Regisseurin Nancy Camaldo Windstill (2021), ihren Abschlussfilm der Hochschule für Fernsehen und Film in München, offen enden. „Der Film ist eine Momentaufnahme und kann nach Belieben gedeutet werden“, sagt die gebürtige Boznerin. Er handelt von Lebensträumen, Selbstverwirklichungszwang und dem Überfluss an Möglichkeiten, der die Hauptfiguren letztlich lähmt. „Probleme der Wohlstandsgesellschaft“, von Camaldo filmisch mit Feinfühligkeit und akribisch ausgearbeiteten Details erzählt.

Für einen Abschlussfilm ist Windstill eine aufwendige Produktion. Camaldos Vorgängerfilm Haut war aber so gut gelaufen, dass die Regisseurin und ihre Produzentinnen von der Münchner Elfenholz Film beschlossen, mutig zu sein. Und mit Unterstützung durch IDM, den FFF Bayern und den BR einen Langspielfilm zu drehen. Beim Max Ophüls Festival feierte der Premiere. „Ich will zwischenmenschliche Dramen und Konflikte erzählen“, sagt Camaldo, „die gibt es überall, im Privaten und bei der Marslandung, im Sci-Fi- und im Historienfilm.“ Sie ist ein großer Genre-Fan: Gut möglich, dass ihr offizielles Debüt ein Thriller sein wird.

Einen kreativen Job wollte die 29-Jährige schon immer. „Anfangs hatte ich Zweifel, weil die Regie bislang eben doch sehr männerlastig war. Und ich hatte noch keine Erfahrung“, sagt sie. Doch sie hörte auf ihr Bauchgefühl, bewarb sich an der HFF. Mit Erfolg. „Man wird immer Leuten begegnen, die einen entmutigen. Kritik kann man aber annehmen und etwas daraus machen“, ist die Regisseurin überzeugt.

Take

Camaldo spricht ruhig und behutsam, gleichzeitig ist sie sich ihrer Führungsrolle vollkommen bewusst. „Ich behalte gerne die Kontrolle über die Outputs, fordere am Set aber nicht meine Methoden an. Da sind genügend talentierte Leute – mein Job ist es, sie zu fördern und einzubeziehen, damit mein Film davon profitiert“, so die Regisseurin. „Regie ist Kommunikation.“

Und sie ist mit Sicherheit keine Männerdomäne mehr. Eine neue Generation Regisseurinnen ist am Werk – mit viel Potenzial, veraltete Strukturen aufzubrechen. Womit genau? „Mit weiblicheren Drehbüchern, diverseren Hauptfiguren. Warum sind Darstellerinnen ab 40 nur in Klischeerollen zu sehen? Als dürften sie nicht altern? Dabei ließen sich aus deren Perspektive gute Geschichten erzählen“, sagt Camaldo. Und plädiert für mehr Diversität in allen Departments: „Nur so können schöne Filme entstehen, die die gesamte Gesellschaft authentisch ansprechen!“

Text Marianna Kastlunger
Foto Natalia Mamaj
Veröffentlicht am 14.01.2022

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