In einem zur Kapelle umgewidmeten Saal stimmt ein Dutzend Frauen ein traditionelles Lied an. Sie alle tragen die gleiche Uniform: schwarzes Hemd, rote Hose. Eine von ihnen ist Elisa (Barbara Ronchi). Bei der Zeile „Diventa rossa la moretina per la vergogna del grande amor“ („Aus Scham vor der großen Liebe errötet das brünette Mädchen“) erstarrt Elisa. Ihr Blick driftet ab, als holte sie plötzlich ein quälender Schmerz ein. Elisa ist keine gewöhnliche Chorsängerin. Sie ist inhaftiert – verurteilt wegen Mordes an ihrer Schwester. Nun verbüßt sie ihre Strafe im Istituto Moncaldo, einem Rehabilitationsgefängnis, das auf Wiedereingliederung statt auf Bestrafung setzt. Kriminologe Alaoui (Roschdy Zem), der zu Familienverbrechen forscht, begleitet sie. Dabei verfolgt er keinen strafenden, sondern therapeutischen Ansatz. Statt zu urteilen, will er vielmehr verstehen.
„Südtirol hat als Drehort viel zu bieten, einschließlich der Fachkräfte vor Ort.“
Die Facetten der menschlichen Psyche
„Während sie singt, ereilt Elisa eine Erkenntnis, die eine dramatische Wahrheit ans Licht bringen wird“, beschreibt Carlo Cresto-Dina, Produzent der römischen Tempesta Film, die Szene. Konkrete Hinweise auf den Zeitrahmen, in dem sich die Handlung dieses Films abspielt, bleiben aus. So wird bewusst eine Atmosphäre geschaffen, als stünde die Zeit still, um irreführende Andeutungen zu vermeiden. In der Geschichte soll weder die Schwere der Schuld geschmälert noch das Opfer in den Hintergrund gedrängt werden. Vielmehr sucht sie, die Komplexität der menschlichen Seele zu ergründen. „Wer das Böse verstehen will, muss ihm in die Augen schauen“, betont er. Die anspruchsvolle, ambitionierte Erzählung entstammt der feinfühligen Feder des Drehbuchautors und Regisseurs Leonardo Di Costanzo. Seit jeher untersucht er in seinen Werken die Psyche in all ihren Nuancen – jenseits von Stereotypen. Di Costanzo und Cresto-Dina arbeiten bereits seit 2011 zusammen. Cresto-Dina ist nicht zum ersten Mal mit einer Produktion in Südtirol. Er kennt die Region gut, seit er 2014 auf dem Ritten den Film Fräulein – una fiaba d’inverno („Fräulein – ein Wintermärchen“) drehte. „Südtirol hat als Drehort viel zu bieten, einschließlich der Fachkräfte vor Ort“, erklärt der Produzent.

Filmwelt in den Bergen
Caterina Ferrari ist am Set als Regieassistentin tätig. In dieser Funktion weiß sie bestens über die Darstellenden Bescheid, von ihren Ernährungsweisen bis hin zu ihren Zeitplänen für Maske und Garderobe. Auch die Textauszüge für die Crew druckt sie aus, damit immer alle darüber im Bilde sind, welche Szenen im Laufe eines Drehtags gedreht werden. Ferrari stammt ursprünglich aus dem Piemont. Nach Zwischenstopps in Venedig und Mailand zog es sie schließlich nach Bozen an die Filmschule ZeLIG. Von dort schlüpfte sie in viele Rollen am Set, von Castingassistenz bis Komparsenbetreuung.

„Südtirol bietet eine Vielzahl an perfekten Locations“, erinnert sie sich schwärmend. Außerdem verrät sie uns, dass die Komparsinnen im Chor nicht bloß Statistinnen sind, sondern echte Chorsängerinnen aus der Gegend. Mit der Produktion von Elisa wird sie noch in die Schweiz weiterreisen, muss das Set allerdings einen Tag früher verlassen. „Mein Kurzfilm wird beim Film Festival Bozen gezeigt“, erklärt sie noch. Dann verabschiedet sie sich. Sie ist eine von rund 30 lokalen Fachkräften, die am Set tätig sind, darunter Davide Grotta, der wie sie Regieassistenz ist, Giuseppe Zampella als Location Manager, Sara Pergher als Assistant Set Dresser oder Kristian De Martiis für Lichttechnik.
„Ich komme aus Bozen, lebe in Berlin und würde gern irgendwann zurückkommen. In der Zwischenzeit knüpfe ich auch hier weiter fleißig Kontakte.
Monitor B, neben Di Costanzo. Der Bozner Christian Passeri ist als erste Kameraassistenz im Einsatz. Er filmt Elisa, wie sie singt, ins Stocken gerät und dann verstummt – hält aus nächster Nähe fest, wie ihr das Unbehagen zunehmend ins Gesicht geschrieben steht. „Ich habe am 1. März angefangen und war für die gesamten Dreharbeiten in Südtirol zuständig. Dass ich nicht auch in der Schweiz drehen kann, finde ich sehr schade“, sagt er, als er Feierabend macht. „Der heutige Drehtag mit den Chorszenen war nicht so schwierig für mich. Da waren andere deutlich komplizierter und ereignisreicher“, fügt Passeri hinzu. „Das war eine sehr angenehme Erfahrung“, fährt er fort. Insbesondere wisse er zu schätzen, für Elisa mit Director of Photography Luca Bigazzi zusammenarbeiten zu können, dessen Arbeit er bewundert. „Ich komme aus Bozen, lebe in Berlin und würde gern irgendwann zurückkommen. In der Zwischenzeit knüpfe ich auch hier weiter fleißig Kontakte. Und wer weiß, irgendwann entstehen vielleicht auch in Südtirol große Filmstudios unter lokaler Leitung.“
Die ersten Transporter fahren auf den Hof und die Kameraleute machen ihr Equipment einladebereit. Hier wird noch ein Erinnerungsselfie gemacht, da La moretina vor sich hin geträllert. Und so liegt neben erschöpfter Aufbruchstimmung auch eine gewisse Heiterkeit in der Luft.
