„Unsere Stärke ist die Peripherie“

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Wir sind, wie so oft in den vergangenen zwei Jahren, online verabredet. Doch das Kinojahr verläuft optimistisch: Festivals können ihr Programm vor Ort durchführen, große Produktionen feiern ihre lang ersehnte Premiere – ein Schritt in Richtung Normalität.
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Auf den Filmfestivals kehrt dieses Jahr wieder ein bisschen Normalität ein. Ist die IDM Film Commission vor Ort?

Birgit Oberkofler

Bei der Berlinale im Februar kehrten die Filmveranstaltungen zwar für das Festival in den Kinos zurück, aber der Filmmarkt fand noch komplett online statt. Wir haben also online beraten und waren für die Filmschaffenden virtuell da. Beim Bolzano Film Festival Bozen im April ist wirklich so etwas wie Normalität eingekehrt, die Preisverleihungen, Branchenprogramme und Filmvorstellungen fanden nach zwei Jahren wieder vor Ort und vor Publikum statt. Die Lust auf die Rückkehr ins Kino ist spürbar. Auch die Filmfestspiele von Cannes und der Marché du Film werden im Mai vor Ort stattfinden – und die IDM Film Commission wird dabei sein.

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Die Branche hat während der letzten zwei Jahre so gut es geht, versucht, sich auf die Situation einzustellen, um nach der Krise möglichst rasch wieder an alte Erfolge anzuschließen. Konnte die IDM Filmförderung die erzwungene Auszeit auch nutzen, um gestärkt daraus hervorzugehen?

Birgit Oberkofler

Auf jeden Fall. Das letzte Jahr war nicht immer leicht für uns, wir mussten ja sogar einen Förder-Call aussetzen. Wir haben viel dafür gearbeitet, dass so etwas künftig nicht mehr passiert und Politiker und Stakeholder dafür sensibilisiert. Für die nächsten Jahre haben wir wieder Etatsicherheit.


Darüber hinaus ist im Rahmen der Berlinale 2022 eine Studie [Public Film Funding at the Crossroads – Ideology versus Reality, Autor Tomas Eskilsson, Editoren Katarina Krave, Bengt Toll] erschienen, in der die Aufgaben und die Wichtigkeit der regionalen Filmförderungen in Europa noch einmal hervorgehoben werden. Die Studie regt Filmförderungen aber auch an, sich weiterzuentwickeln, Allianzen zu bilden, um das Umfeld der Filmbranche zu verbessern, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Daran wollen wir mit Cine-Regio, einem Netzwerk von 49 regionalen Filmförderungen, aktiv arbeiten.

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Ein Weiterentwickeln ist nötig – nicht zuletzt aufgrund der Pandemie.

Birgit Oberkofler

Die Pandemie hat zum Beispiel deutlich gemacht, dass die Sichtbarkeit der Filme nicht selbstverständlich ist, dass man sich immer wieder neu darum bemühen muss, dass sie ihr Publikum finden. Für uns ist es eine zentrale Aufgabe, nicht nur die Produktion zu unterstützen, sondern auch die Rezeption der Filme.

Wir haben daher den Online-Katalog WATCH !T eingerichtet, der nicht nur ausführliche Informationen zu den Filmen bereit hält, sondern auch die Kinos, Festivals und Streaminganbieter anzeigt, wo der Film gesehen werden kann. Das ist für uns ein wichtiges Tool, um unsere Zielgruppe zu erweitern.

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Die Website wurde ja insgesamt deutlich ausgebaut, auch das TAKE ist nun online.

Birgit Oberkofler

Genau. Es wird dort ein ähnliches Informationsangebot geben wie bisher in der Printausgabe, aber das Web lässt uns aktueller sein und nun können wir auch kontinuierlich Content einstellen.

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Wie zahlreiche Festivals findet dieses Jahr auch INCONTRI wieder in Präsenz statt. Die Filmkonferenz der IDM Filmförderung wird vom 26. bis zum 29. April Branchenvertreterinnen und -vertreter in Meran versammeln.

Birgit Oberkofler

Darauf freuen wir uns schon sehr! Wir haben den Rahmen geöffnet und ab diesem Jahr können sich alle Interessierten anmelden. Im Länderfokus stehen diesmal die baltischen Länder. Ein Thema unserer Konferenz werden die „Streaming Wars“ sein, also das Angebot der zahlreichen Streaminganbieter und die damit verknüpfte Zunahme der Produktionen. Wir werden wieder Keynotes und Case Studies haben und viele Möglichkeiten, sich auszutauschen und zu vernetzen. Die eben erwähnte Studie zu den Regionalförderungen wird im Rahmen von INCONTRI auch ausführlich präsentiert.

Ein weiteres wichtiges Projekt, das uns das ganze Jahr über begleitet, ist unser Script Lab RACCONTI. Aktuell werden dort drei Spielfilmprojekte entwickelt, die dann wiederum auf der Filmkonferenz INCONTRI Ende April erstmals vorgestellt werden. Neue Projekte für die elfte Ausgabe können noch bis 27. Mai eingereicht werden. RACCONTI ist uns wirklich wichtig. Das positive Feedback, das wir jedes Jahr bekommen, und zu sehen, was für ein hilfreicher Input das Programm für die Projekte ist, zeigt uns, wie sehr sich das für die Branche lohnt. Auf unserer Website sind auch die Profile aller Experten und Alumni abrufbar, ein tolles Netzwerk hat sich über die Jahre entwickelt.

Take

Ich würde gerne zum Schluss noch mal auf die Neuerungen aus der Förderung zu sprechen kommen, da ist ja auch einiges passiert letztes Jahr.

Birgit Oberkofler

Da ist vor allem die Kurzfilmförderung, die im letzten Jahr gestartet ist. Die Einreichungen sind zahlreich, aus verschiedenen Genres und durchwegs von guter Qualität und – was mich erstaunt hat – auch hier haben wir mehrere Koproduktionen. Der Kurzfilm ist speziell für die Region wichtig: Denn zum einen werden hier meist mehr als die notwendigen 60 % des Budgets vor Ort ausgegeben, zum andern ist das Format gerade auch wichtig für den Nachwuchs in Südtirol.

Und dann haben wir das Zertifikat Green Shooting eingeführt. Filmproduktionen können es beantragen, wenn sie nachweisen, dass sie in unterschiedlichen Bereichen nachhaltig und verantwortungsvoll vorgehen. Das Ganze wird von einer unabhängigen Stelle zertifiziert. Die ersten Produktionen (zum Beispiel BinIchDenn) haben das jetzt schon genutzt, und die Rückmeldungen dazu sind durchwegs positiv. Weiterbildungen zu den Themen bieten wir ebenfalls an.

Take

Damit setzt die IDM Filmförderung einen deutlichen Akzent.

Birgit Oberkofler

Genau, neben der konkreten Produktionsunterstützung ist es eine unserer Kernaufgaben die Filmbranche hier vor Ort in Südtirol bei den vielfältigen unterschiedlichen Anforderungen zu unterstützen, die auf die Industrie zukommen. Dazu gehört auch für die Aus- und Weiterbildung sowohl von den Etablierten als auch vom Nachwuchs zu sorgen. Unsere Stärke ist die Peripherie, das ist nicht unbedingt das, was die Streamer auch im Blick haben.

Foto Armin Huber
Interview Florian Krautkrämer
Veröffentlicht am 21.04.2022