3 Fragen an ... Giulia Rosa D’Amico, Mujeres nel Cinema

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Frauenrechte in der Filmbranche: Wo stehen wir? TAKE hat die Produzentin und Präsidentin der Vereinigung Mujeres nel Cinema Giulia Rosa D’Amico beim ersten IDM Film Jour Fixe 2024 zum Interview getroffen.
Take

Warum ist das Gender-Gap in der Filmindustrie immer noch so groß? Welche Maßnahmen sind dringend nötig, um die Rechte der Frauen in der Branche zu schützen?

GIULIA ROSA D’AMICO

Frauen sind in Spitzenpositionen stark unterrepräsentiert. In technischen Rollen treffen sie oft auf Geschlechterstereotypen, weil ihnen fälschlicherweise unterstellt wird, dass sie diesen Aufgaben nicht gewachsen wären. Seit der #metoo-Bewegung hat man erkannt, dass Frauen faktisch benachteiligt werden. So wurden beispielsweise neue Zuschlagskriterien für Ausschreibungen eingeführt. Das ist sinnvoll, aber nur wenn damit auch ein Umdenken einhergeht: Es gibt viele kompetente Frauen. Alle verdienen eine Chance, beruflich voranzukommen. Mit Mujeres nel Cinema vernetzen wir uns durch einen inklusiven Bottom-up-Ansatz, um im Kleinen Chancen für weibliche Fachkräfte zu schaffen.

Take

Wie können Produktionen ein attraktives und positives Arbeitsumfeld für Frauen schaffen?

GIULIA ROSA D’AMICO

Mütter dürfen nicht mehr ausgeschlossen werden. Arbeit oder Familie ist für Frauen immer noch ein Scheideweg. Produktionen sollen auch aktiv gegen geschlechtsspezifische Gewalt vorgehen: Dazu gehört es, sich mit in diesem Bereich tätigen Bewegungen bekannt zu machen – Amleta und Differenza Donna etwa sind enge Partner von uns – und sich mit Präventionsinstrumenten auseinanderzusetzen. Dazu zählen etwa die Rules for Ethical Behaviour in the Audiovisual Field (Charta für ethisches Verhalten im audiovisuellen Sektor) von Women in Film, Television & Media Italia, die Mujeres nel Cinema unterstützt. Die Charta, der auch die ANICA beigetreten ist, legt Regeln für Set-Hierarchien fest, an deren Spitze fast immer Männer stehen. In den Büros und am Set sollte es außerdem eine Bezugsperson geben, die anonym Beschwerden über unangemessenes Verhalten entgegennimmt und entsprechend handelt. Sicher ist: Die Männer müssen aktiver Teil des Wandels sein, damit die Gleichberechtigung Realität wird. Ich zähle auf die neuen Generationen. Bei den jungen Menschen sehe ich den Willen, Muster zu durchbrechen.

Take

Sprechen wir über das Strukturelle. Was muss sich an der Gesetzeslage ändern, um die Situation der Frauen im audiovisuellen Sektor zu verbessern?

GIULIA ROSA D’AMICO

Es braucht konkrete Maßnahmen, die für Gleichberechtigung sorgen, etwa indem man der Auswahl der Werke bei Filmfestivals mehr Aufmerksamkeit schenkt. Der Goldene Bär für Mati Diop oder die Goldene Palme für Justine Triet haben wichtige Signale gesetzt. Bei den Verhandlungen zur Erneuerung des italienischen Kollektivvertrags für Filmschaffende (CCNL Troupe) muss nicht nur auf das geschlechtsspezifische Lohngefälle eingegangen werden – Frauen werden im Durchschnitt schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen, die dieselbe Arbeit verrichten. Die Einführung spezifischer Klauseln könnte physische und psychische Gewalt verhindern. Ein wichtiger Bezugspunkt ist hier das ILO-Übereinkommen Nr. 190 über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt, das Italien 2019 ratifiziert hat.

Interview Sarah Franzosini
Veröffentlicht am 20.03.2024