Anlässlich des IDM Film Jour Fixe hat sich Drehbuchautorin Greta Scicchitano aus Rom mit dem Künstler YOMER, der für seine vielseitige Kreativität bekannt ist, zum Konzept des kreativen Prozesses ausgetauscht. Mit TAKE hat sie über kreative Prozesse und verworfene Ideen gesprochen.
Frau Scicchitano, was ist Kreativität? Kann jeder kreativ sein?
Ich war schon immer der Meinung, dass die Kreativität Teil von uns allen ist, Teil des Menschen generell, dass sie nicht allein den Kunstschaffenden gehört. Kreativität ist eine Art zu denken, sie hängt davon ab, wie wir Dinge betrachten. Deshalb ist sie auch etwas Persönliches, das bei uns allen individuell anders ist. Das Besondere an jemandem, der oder die in der Kreativbranche tätig ist, besteht darin, dass wir diese Fantasie ständig nutzen müssen. Ein kreativer Beruf fördert die Beziehung zur Fantasie, hilft sie weiterzuentwickeln. In diesem Berufsfeld ist die Kreativität nicht etwas, das mal da ist und mal nicht. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Kreativität ist eine Konstante.
Auch der kreative Prozess ist also etwas Individuelles?
Für mich hat der kreative Prozess schon früh begonnen, als ich noch klein war. Als Kind steht man eigentlich immer im Kontakt mit der eigenen Fantasie. Schon als Mädchen wusste ich, dass ich eine, sagen wir, chaotische Seite in mir habe, die Ausdruck finden muss. Kreativität heißt für mich immer mit dem eigenen emotionalen Wesen verbunden zu sein, immer ein bisschen Kind zu bleiben. Dabei geschieht das nicht unbedingt bewusst, vielmehr ist es dieser Wunsch, das Geheimnisvolle in der Realität zu finden – etwas, das anders ist. Man kann alles aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Die Kreativität liegt darin, etwas zu bemerken, was anderen noch nicht aufgefallen ist. Sie ist etwas Persönliches und wir müssen einen Weg finden, unsere kreativen Gedanken mit anderen zu teilen.
Dann gibt es Menschen, die auf der gleichen Wellenlänge sind und dieselbe kreative Sprache sprechen. Jeder Film ist für mich ein Gemeinschaftswerk. Alle verfolgen ein bestehendes Ziel, tragen dazu ihren Teil bei. Es ist ein bisschen so, als würde man Schritt für Schritt gemeinsam ein Bild – das Filmprojekt – ausmalen.
Wie startet der kreative Prozess bei einem Projekt? Was inspiriert Sie?
Ich lasse mich gerne von Schauplätzen inspirieren. Der kreative Prozess kann auch mit einer Geschichte beginnen, die mich anspricht, mit irgendetwas, das mich interessiert – zum Beispiel mit einer Nachricht in der Zeitung. Und dann muss ich herausfinden, ob mehr aus der Idee werden kann und ob ich rundherum eine Welt schaffen und erzählen kann und möchte. Gerade arbeite ich an einem Drehbuch, bei dem ich von einem historischen Schauplatz inspiriert wurde.
Manchmal passiert es, dass man eben nicht den Weg, die Inspirationen findet sie zu erzählen. Klar, die spontane Eingebung, der Geistesblitz sind aufregend, aber man muss sehen, ob sie vor der Zeit bestehen. Es muss etwas sein, das nicht nur dich, sondern auch andere trifft, fesselt. Unter uns Drehbuchautorinnen und -autoren gibt es viele verworfene Projekte – zu denen man vielleicht aber auch nach Jahren wieder zurückkehrt. Der Autor von Squid Game zum Beispiel hat zehn Jahre gebraucht, bis er seine Idee umsetzen konnte. Man muss ein großes Vertrauen in eine Idee haben, um an ein Projekt zu glauben.