Bei der zwölften Ausgabe der Filmkonferenz INCONTRI von IDM Film Commission Südtirol diskutierte eine prominent besetzte Panelrunde von Filmschaffenden aus Ägypten, dem Libanon, Palästina, Tunesien und den Vereinigten Arabischen Emiraten den großen Themenkomplex arabisch-europäischer Koproduktionen.
Moderiert von Vincenzo Bugno, Leiter des World Cinema Fund der Berlinale und künstlerischer Direktor des Bolzano Film Festival Bozen, gemeinsam mit dem ägyptischen Produzenten und Drehbuchautor Ayman El Amir wurde in der engagierten Diskussion vor allem die Notwendigkeit einer „Entkolonialisierung“ der Beziehungen hervorgehoben, wie Bugno den Wunsch bezeichnete.
Seit den Neunzigerjahren werden Filmkoproduktionen zwischen Europa und den MENA-Ländern (Nahost und Nordafrika) von der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten, insbesondere Frankreich und Deutschland, gezielt gefördert. Die Zusammenarbeit brachte zahlreiche arabischsprachige Filme hervor, die teilweise sogar oscarnominiert wurden: Paradise Now des palästinensischen Regisseurs Hany Abu Assad, Capernaum – Stadt der Hoffnung der Libanesin Nadine Labaki und der Dokumentarfilm Für Sama der syrischen Regisseurin Waad Al-Khateab und von Edward Watts sind nur wenige Beispiele. Da es in den arabischen Ländern des Nahen Ostens jedoch kein eigenes Filmfördersystem gibt, hängen die arabischen Regisseurinnen und Produzenten von der Zusammenarbeit mit Europa ab. Doch während die europäischen Partner häufig stolz vom Erfolg ihrer geförderten Filme berichten, sprechen kritische Stimmen auf der Gegenseite von einem „neuen Kolonialismus“.
„Natürlich will ich Filme machen, die überall verstanden werden. Dieser Anspruch ist aber sehr komplex. Wenn wir über Koproduktionen sprechen, halte ich es deshalb für sinnvoll, die Frage nach der Zielgruppe zu stellen. Denn es gibt nicht das Publikum. Die Sache ist komplizierter.“
„Da es bei uns keine Filmförderung gibt, sind wir voll und ganz auf die Koproduktionen angewiesen“, erklärt Amal Ramsis, Regisseurin und Produzentin aus Ägypten und Gründerin von Women Filmmakers Caravan, einer Initiative zur Förderung arabischer Filmemacherinnen. „Unsere Koproduzenten haben aber zuallererst das europäische Publikum im Blick, nicht unseres. Außerdem kommuniziere ich mit meinen eigenen Leuten ganz anders als mit Personen aus anderen Kulturkreisen. Auch das sollten wir nicht ausblenden. Ich bin eine Regisseurin aus der arabischen Welt und ja, natürlich will ich Filme machen, die überall verstanden werden. Dieser Anspruch ist aber sehr komplex. Wenn wir über Koproduktionen sprechen, halte ich es deshalb für sinnvoll, die Frage nach der Zielgruppe zu stellen. Denn es gibt nicht das Publikum. Die Sache ist komplizierter.“ Bugno räumt ein, dass er die Zielgruppenbezeichnung „alle“, die manchmal in den Förderanträgen aus der arabischen Welt verwendet wird, schon immer skeptisch sah. Er ist überzeugt, dass man im Westen Filme aus anderen Regionen sehen will, die unverfälscht sind. „Das Erfolgsrezept eines Films lautet aus meiner Sicht: Je lokaler, desto internationaler.“ Als Beispiel verweist er auf den Gewinner des Publikumspreises der letzten Berlinale, das feministische Rachedrama Sira von Apolline Traoré, das tief in der lokalen Wirklichkeit Burkina Fasos verwurzelt ist. Die Geschichte handelt von einer jungen Nomadin namens Sira, die nach einem brutalen Anschlag nicht aufgibt, sondern sich gegen den islamistischen Terrorismus zur Wehr setzt und dabei selbst zur Waffe greift. „Dem Publikum ist es egal, ob ein Film von weit her kommt“, so Bugno.
Teilweise ist es für die arabischen Filmschaffenden essenziell, ein Publikum außerhalb ihres Herkunftslandes zu erreichen. „Mein Film wurde im Sudan [wo es kaum Kinos gibt, A. d. R.] nie gezeigt“, erzählt der sudanesische Regisseur Amjad Abu Alala, der inzwischen in Dubai lebt. Für sein Drama Mit 20 wirst du sterben, in dem ein Junge gegen die Prophezeiung eines sudanesischen Dorfgeistlichen kämpft, mit 20 zu sterben, wurde er 2019 auf den Filmfestspielen von Venedig mit dem „Löwen der Zukunft“ ausgezeichnet. Was potenzielle Unstimmigkeiten aus kultureller Sicht betrifft, möchte Abu Alala, der auch als Produzent tätig ist, eine Lanze für das bestehende System brechen. Persönlich habe er gute Erfahrungen gemacht: „Die Koproduktionen sind für mich von großer Bedeutung, denn im Sudan gibt es überhaupt kein Geld für die Filmindustrie. Koproduktionen sind unsere einzige Chance. Auch ich hatte die Befürchtung, die kreative Oberhand zu verlieren, doch als Regisseur muss man ein klares Konzept vor Augen haben und die anderen davon überzeugen. Meine ägyptischen und norwegischen Koproduzenten waren mit mir am Set und standen mir die ganze Zeit zur Seite, bis es zur Preisverleihung nach Venedig ging. Weil ich weiß, dass mein Geld niemals vollständig aus dem Sudan kommen wird, werde ich immer auf Koproduktionen angewiesen sein.“
„Vor fünfzehn Jahren war es noch undenkbar, ohne die Unterstützung von ARTE und des französischen Fonds Les cinémas du monde einen Film zu machen.“
Der libanesische Produzent Georges Schoucair, CEO von About Productions, der renommierten Produktionsfirma, die hinter Filmen wie dem in Venedig gezeigten Drama Costa Brava, Lebanon von Mounia Akl und dem in Berlin uraufgeführten Memory Box von Joana Hadjithomas und Khalil Joreige steckt, berichtet, dass sich arabische Koproduktionen zunehmend an neuen Geschäftsmodellen orientieren. Grund dafür sind teils neue Fördermöglichkeiten in der Region, darunter des Doha Film Institute, der Cairo Film Connection und der CineGouna Platform in Ägypten. Auch der kürzlich in Saudi Arabien gegründete Red Sea Film Fund sei mit riesigen Summen ausgestattet. „Vor fünfzehn Jahren war es noch undenkbar, ohne die Unterstützung von ARTE und des französischen Fonds Les cinémas du monde einen Film zu machen. Wenn man es heute schafft, 40 Prozent des Budgets aus der eigenen Region einzusammeln, kann man das Projekt alleine schreiben. Man kann einen Finanzierungsplan aufstellen und alles so weit vorbereiten, dass man den potenziellen Koproduzenten in Europa schon ein relativ ausgegorenes Konzept vorlegt“, erklärt Schoucair. Eine andere wichtige Entwicklung, die sich aus seiner Sicht gerade abzeichnet, ist die Entstehung arabischer Filme außerhalb des Nahen Ostens. Ein Beispiel ist der in Montreal spielende Film Memory Box, in dem eine libanesische Familie, die während der Zerstörung Beiruts im Bürgerkrieg nach Kanada auswanderte, eine Kiste voller Erinnerungen erhält. „Eine neue Art der Koproduktion war für uns, eben nicht nur Gelder einzusammeln, sondern auch in anderen Ländern zu drehen“, erklärt der libanesische Produzent, der gerade den Dreh einer italienisch-libanesischen Koproduktion in Italien vorbereitet.
„Tatsächlich brauchen wir kreative Koproduzenten, mit denen sich ein Projekt auch wirklich umsetzen lässt. Das ist mehr als eine Geldfrage. Denn unabhängige Filme in der arabischen Welt werden immer noch zensiert. Koproduktionen bieten hier einen Ausweg.“
Besonders spannend wird die Diskussion, als Ayman El Amir, der neben seiner Tätigkeit als Produzent und Drehbuchautor auch Schreibworkshops in verschiedenen arabischen Ländern durchführt, den Teilnehmenden die Frage stellt, was Koproduktionen neben ihrer finanziellen Rolle aus kreativer Sicht bedeuten: „Geht man schöpferisch anders an eine Koproduktion heran?“
Marianne Khoury, eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der ägyptischen Filmszene, Produzentin, Distributorin und aktive Filmschaffende seit über vierzig Jahren, seit ihrer Zusammenarbeit mit dem großen Regisseur Youssef Chahine, gibt zwar keine definitive Antwort, da jeder Fall anders sei, doch erklärt: „Tatsächlich brauchen wir kreative Koproduzenten, mit denen sich ein Projekt auch wirklich umsetzen lässt. Das ist mehr als eine Geldfrage. Denn unabhängige Filme in der arabischen Welt werden immer noch zensiert. Koproduktionen bieten hier einen Ausweg. Mit der nötigen Unterstützung können diese Projekte realisiert werden. Ob eine Koproduktion nur aus finanziellen Gründen zustande kommt oder auch im Sinne eines kreativen Austauschs, lässt sich manchmal nicht so genau sagen. Die Grenzen sind fließend.“
Auch Hanna Atallah, Gründerin des Filmlab Palestine, das sich für die Förderung und Produktion einheimischer Filme einsetzt, unterstreicht die Bedeutung von Koproduktionen, um dem Schwert der Zensur zu entgehen. „Junge Filmschaffende, die am ersten oder zweiten Film arbeiten, suchen teilweise fünf bis sechs Jahre, bis sie einen europäischen Koproduzenten gefunden haben“, erzählt sie. „Da achtzig Prozent der palästinensischen Filme politisch sind, ist die Zusammenarbeit mit Europa fundamental.“
In der Kürze der Zeit ließen sich die Licht- und Schattenseiten der Koproduktionen zwischen Europa und der MENA-Region nur kurz umreißen. Trotz Unzulänglichkeiten scheinen die Vorteile jedoch zu überwiegen.
Der österreichisch-ägyptische Regisseur Abu Bakr Shawky darf sich indes über eine Förderung der IDM Film Commission für sein neues Projekt Ramses (Arbeitstitel) freuen. Bekannt wurde der Nachwuchsfilmemacher, als es sein Debütfilm Yomeddine auf dem Filmfestival von Cannes 2018 in den Wettbewerb schaffte. Der neue Film Ramses, eine Koproduktion der in Wien ansässigen Schubert Füm und der Schubert Film in Berlin, soll politische Satire, schwarze Komödie und Road Movie zugleich werden.