Ein ungewöhnlicher Roadtrip

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Eine unerwartete Freundschaft, die Sprache der Trauer und eine multilinguale Produktionsreise: TAKE war am Set von Marianengraben, einer länderübergreifenden Romanverfilmung.

Luna Wedler und Edgar Selge, alias Paula und Helmut, warten vor einem kleinen Bauernhaus – dunkel und urig, mit diesem Südtirol-typischen Alpenflair. Die Schweizer Jungschauspielerin trägt einen schwarzen Schirm bei sich und viel zu große Herrenklamotten an ihrem Körper. „Ruhe bitte!“, hört man von weiter oben und alles wird leise. Lediglich die Kuhglocken der Rinder, die drüben auf der Wiese grasen, lassen sich noch vernehmen. Es wird gedreht. Helmuts alter Freund, Martin Maria Abram mit langem grauem Bart, öffnet die Tür, umarmt die beiden freudig und bittet sie in sein Haus. Cut. Alles auf Wiederholung.

Luxemburgisch-südtirolerisch-österreichisch

Die Geschichte von Paula und Helmut gibt es zunächst auf Papier, im Roman „Marianengraben“ (2020) von Jasmin Schreiber. Nachdem Paula ihren kleinen Bruder Tim durch einen Unfall in Triest verliert, schließt sie sich dem alten Helmut an, der mit der gestohlenen Urne seiner Ex-Frau unterwegs nach Südtirol ist. Paula, die fest entschlossen ist, sich selbst an dem Ort das Leben zu nehmen, an dem ihr Bruder ertrunken ist, freundet sich mit ihrem Reisebegleiter an. Als sie von Helmuts Krankheit erfährt, ändern sich ihre Pläne.

Anders als bei der Protagonistin läuft beim Dreh am Oberniederhof in Unser Frau im Schnalstal alles streng nach Plan. Vier Szenen werden hier an diesem Tag umgesetzt. Der Hof ist eine bekannte Drehlocation, die Fusion des Produktionsteams ist neu: Bei Marianengraben handelt es sich um eine trilaterale Ko-Produktion. Die luxemburgische Hauptproduktionsfirma SAMSA, die Südtiroler Produktionsfirma Albolina Film und die österreichische Film AG haben sich innerhalb weniger Tage zu einer gut harmonierenden Gemeinschaft zusammengefunden. „Die unterschiedlichen Arbeitsweisen hat man nach ein paar Tagen gar nicht mehr gemerkt. Etwas ,Rock’n’Roll‘ sind die Locationwechsel, weil wir immer wieder alles zusammenpacken, verladen und transportieren müssen“, verrät Brigitte Kerger, Line Producer (SAMSA). Da Marianengraben ein Roadmovie ist, gibt es sehr viele Straßenszenen zu drehen. Die Organisation von Straßensperren und speziellen Fahrzeugen, wie dem Tieflader für den Dreh der Szenen von Helmuts fahrendem Camper sowie die ständig neuen örtlichen Gegebenheiten stellen für die über 50 Mitwirkenden eine riesige Herausforderung dar. Bis Mitte November wird gedreht – dabei geht es quer durch Südtirol, Triest, Österreich und Luxemburg. Eine abenteuerliche Reise also und gleichzeitig eine warme Umarmung – nicht nur die Geschichte, sondern auch das Miteinander vor Ort. „Ich ziehe meinen imaginären Hut vor so viel Professionalität der Firma SAMSA – wir lernen sehr viel von ihnen“, erzählt Herstellungsleiter Matthias Keitsch von Albolina Film.

Die wichtigen Dinge

Die verschiedenen Setsprachen – der Südtiroler Dialekt, Deutsch, Französisch, Englisch und Italienisch – machen die Produktion zu einem multilingualen Projekt. „Das macht großen Spaß und man wächst dadurch zusammen“, so Ildiko Okolicsanyi. Die aus Berlin stammende und jetzt in Bozen lebende Kostümbildnerin sorgt dafür, dass die Farbwelten der Kostüme mit der jeweiligen Umgebung im Einklang sind: nüchterne, natürliche Farben, fern von schillernder Aufdringlichkeit und gewollter Buntheit. Es geht um eine Geschichte, die nah am Leben ist, optisch wie inhaltlich. Auch Szenenbildner Martin Reiter ist Fan von Authentizität: „Ich habe die Hofbesitzerin gebeten, in der Küche alles so zu lassen, wie es ist – dieses typisch Südtirolerische lässt sich kaum besser aufzeigen als durch Dinge, die schon seit Jahrzehnten ihren fixen Platz haben.“

Hier, in der kleinen, traditionellen Küche, wird die nächste Szene gedreht. Luna Wedler hält die Augen geschlossen und geht in sich. „We need the dog, please!“, ruft draußen jemand. Durch den Monitor des Regiezelts erhascht man kleine Einblicke in die aktuelle Szene. Ein Gespräch am Küchentisch. „Danke, aus, superschön!“, beendet Regisseurin Eileen Byrne die Aufnahme und lächelt zufrieden. Marianengraben ist Byrnes Regiedebüt, doch sie wirkt entspannt und routiniert. „Ich habe ein tolles Team an meiner Seite, das mich großartig unterstützt, sodass ich mich aufs Wesentliche konzentrieren kann“, schwärmt sie. In der visuellen Umsetzung etwa kann Byrne auf die Österreicherin Petra Korner setzen, die international mehrfach ausgezeichnete Bildgestalterin fungiert beim Roadmovie als DoP.

Die Sprache der Trauer

Die Romanvorlage, die die luxemburgische Regisseurin und Produzent Bernard Michaux auf der Berlinale entdeckten, musste zum Drehbuch adaptiert werden – die vielen inneren Monologe, Gefühle und Flashbacks, auf die Schreiber ihren Roman aufbaut, mussten für die Verfilmung dramaturgisch aufgefüllt und aufgearbeitet werden. Drei Jahre und mehrere Fassungen des Drehbuchs später steht Eileen Byrnes nun auf einem Hof in Südtirol, um „das zu tun, was sie liebt“. Dass es inhaltlich – ganz im Sinne einer Tragikomödie – mal lustig, mal traurig zugeht, findet sie besonders spannend. „In Jasmins Buch habe ich eine Sprache gefunden, die meiner ähnlich ist.“ Und auch Paula findet in der Geschichte jemanden, der ihre Sprache spricht – jene der Trauer. Der Tod eines anderen bedeutet für Protagonistin Paula ihre Reise zu sich selbst.

Text Sarah Meraner
Foto (c) Oliver Oppitz
Veröffentlicht am 28.12.2023

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