Niemand da? Fachkräftemangel in der Filmindustrie

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Seit der Covid-19-Pandemie bietet sich ein zuvor wenig bekanntes Bild: Überall fehlen Angestellte, Handwerker/-innen, Dienstleister/-innen. Wie wirkt sich dieses Phänomen in der Filmbranche aus? Im neuen TAKE Dossier blickt Autor Florian Krautkrämer auf Lage und Lösungsansätze.

Jahrelang war einer der Vorzüge der Filmbranche, dass sie trotz herausfordernder Arbeitszeiten und unregelmäßiger Auftragslage eine ungemeine Faszination und Anziehungskraft ausübte. Heute müssen Produktionen mit dem Dreh beginnen, ohne alle Positionen besetzt zu haben. Auch in Postproduktionshäusern fehlen spezialisierte Fachkräfte wie Visual Effects -, CGI - und FX-Artists. Beim cineCongress 2022 in München gab es ein eigenes Panel zum Thema Fachkräftemangel below the line, also in den nicht kreativen Berufsfeldern der Filmbranche. Die deutsche Produzentenallianz hat eine Umfrage unter ihren Mitgliedern durchgeführt und festgestellt, dass es in fast allen Bereichen erheblich an Personal fehlt, vor allem bei der Filmgeschäftsführung, der Produktions- und Aufnahmeleitung. Ist die Anziehungskraft der Branche also verloren gegangen?

So ganz stimmt das natürlich nicht. Studienplätze beispielsweise für Regie, Drehbuch oder Animation werden immer noch stark nachgefragt. Aber die Filmbranche ist sehr personalaufwendig, die Autorinnen und Autoren stellen nur einen Bruchteil der nötigen Crew dar. Für das tägliche Geschäft sind vor allem Menschen nötig, die in Bereichen arbeiten, für die es teilweise gar kein Studium oder keine Ausbildung gibt. Menschen, die sich von Projekt zu Projekt hangeln – und auch darunter leiden, dass Filmproduktionen zumindest in vielen Regionen Europas ein Saisongeschäft sind, das heißt, es gibt längere Zeiträume im Jahr, in denen kaum oder gar nicht gedreht wird.

Diese Problematik sieht auch der Südtiroler Filmproduzent Wilfried Gufler. Während seine Firma, die Albolina Film, zuletzt gewachsen ist und neues Personal fest anstellen konnte, wird das Problem des Fachkräftemangels sofort offensichtlich, wenn es konkret ans Set und zum Dreh geht. Dann fehlen etwa Aufnahmeleiter/-innen und Beleuchter/-innen, die man teilweise aus dem Ausland holen müsse. Dazu käme wie in anderen Branchen auch die sogenannte Alterspyramide, also das Phänomen, dass derzeit die geburtenreichsten Jahrgänge aus dem Berufsleben ausscheiden, ohne dass entsprechend viele nachrücken können. „Für Regionen wie Südtirol kommt erschwerend hinzu, dass vor allem jüngere Leute auch in die Metropolen und Großstädte abwandern“, so Gufler. Einige gute Crewmitglieder haben die Covid-Pause genutzt, um sich beruflich überhaupt neu zu orientieren.

„Es braucht unterstützende Weiterbildungsangebote. So ließe sich Nachwuchs schaffen für jene Berufsbilder, in die man nicht durch eine traditionelle Ausbildung einsteigt.“

Paolo Pelizza, Produzent

GROSS GEGEN KLEIN

Das Problem betrifft jedoch nicht nur eine Region oder ein Land, sondern ganz Europa, denn verschärft wird die Situation auch durch eine deutlich gestiegene Nachfrage nach Personal. „Diese“, ergänzt Florian Geiser, Studio Manager bei Cine Chromatix in Meran, „führte in den letzten zwei Jahren zu massiven Abwerbungen durch die großen Player auf dem Markt, was es für Standorte wie Südtirol noch mal schwieriger macht, zumal hier auch keine jungen Leute im Bereich VFX ausgebildet werden. Uns fehlen spezialisierte Fachkräfte überall dort, wo es auf Manpower ankommt.“ Ebenfalls verantwortlich für die Knappheit sind die zahlreichen Produktionen, die vor allem Streamingdienste zum Füllen ihrer Contentplattformen in Auftrag geben, sowie die im Vergleich zu früher verstärkte Produktion von Serien, die Personal teilweise über einen sehr langen Zeitraum binden. Produzent Paolo Pelizza, der gerade mit einer internationalen OTT-Produktion (over the top, Übermittlung via Internet) für einen Streaming-Anbieter in Sizilien unterwegs ist, sieht deshalb gerade die Film Commissions in Regionen fernab größerer Metropolen in der Verantwortung: „Es braucht unterstützende Weiterbildungsangebote. So ließe sich Nachwuchs schaffen für jene Berufsbilder, in die man nicht durch eine traditionelle Ausbildung einsteigt.“

 

FÖRDERUNG UND FORTBILDUNG

Dabei haben die Förderungen das Problem schon länger erkannt. „Standorte wie Südtirol, die nicht auf eine lange Produktionstradition und entsprechend gefestigte Infrastruktur zurückgreifen können, haben prinzipiell damit zu kämpfen, gut ausgebildete Fachkräfte zu halten“, so Birgit Oberkofler, Leiterin der Südtiroler Filmförderung. Man hatte daher bereits Jahre vor der Covid-19-Pandemie verschiedene Maßnahmen ergriffen, etwa eine enge Zusammenarbeit mit den Schulen in der Region, um über die verschiedenen Berufsbilder zu informieren und Schulpraktika zu organisieren. Daneben gibt es ebenfalls bereits seit Längerem Angebote wie die Vermittlung eines Lehrgangs zum/zur Filmbeleuchter/-in beim renommierten Rental Maier Bros. in Köln. (Das Praktikum findet zum Teil in Köln und zum Teil bei der anderen Dépendance in Meran statt. Dieses und weitere Angebote sind unter der Rubrik MOV!E IT! auf der Website zu finden.) Auch die umfassende Datenbank, in der Filmschaffende der unterschiedlichsten Gewerke sich eintragen und ihre Fähigkeiten anbieten können, zielt in dieselbe Richtung. „Diese Aktivitäten werden wir weiterführen und verstärken“, so Oberkofler, „daneben werden wir Produktionen weiter dazu anreizen, Ausbildungsplätze und Praktika bereitzustellen. Allerdings muss man dabei auch darauf achten, dass Praktikant/-innen wirklich einen Nutzen davon haben und ein Mehrwert entsteht.“

„Der Ball liegt aber auch im Feld der Produzentinnen und Produzenten“, ergänzt Gufler. Die Branche sei nach wie vor sexy, findet der Produzent. Man müsse nun aber auch dafür sorgen, Berufseinsteigern entsprechend attraktive und sichere Arbeitsmöglichkeiten zu bieten, indem man sie mit verschiedenen Modellen langfristig an Produktionshäuser binde und nicht nur projektweise anstelle. „Verträge müssten so umgestaltet werden, dass Filmschaffende trotz Drehpausen durchgehend in ihrer Arbeitsstelle gemeldet sind. Nur so können wir gute Leute halten, was auch für die Qualität unserer Produktionen wichtig ist. 50- oder 60-Stunden-Wochen sind einfach nicht mehr zeitgemäß. Bezahlter Urlaub hingegen schon“, so Gufler.

 

EINFACHER EINSTIEG

Eine mögliche Lösung ist, in ein breiteres Ausbildungsprogramm zu investieren. An der Hochschule Ansbach in Deutschland kann man etwa „Produktionsmanagement Film und TV“ studieren, um anschließend als Herstellungs-, Produktions- oder Aufnahmeleiter/-innen zu arbeiten. Die Film Commission der MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein hat zudem einen niedrigschwelligeren Ansatz gefunden und bietet bereits seit 2018 Präsentationen von weniger bekannten Filmberufen an, in denen Berufspraktiker/-innen über ihre Tätigkeiten und ihren Werdegang informieren. Dara Brexendorf, die diese Veranstaltung koordiniert, erreicht damit sowohl interessierte Schüler/-innen als auch Studierende, die wissen wollen, wo sie später vielleicht auch noch Geld verdienen können. „Wir versuchen aber auch Menschen mit Berufserfahrung anzusprechen, die über einen Wechsel nachdenken“, so Brexendorf.

„Wir wollen dabei kein Spezialwissen vermitteln, sondern einen Überblick und damit einen Zugang zur Branche schaffen. Im Idealfall beginnen die Absolvierenden so bereits mit einem Netzwerk, das ja so wichtig ist in unserem Bereich.“

Dr. Katharina Schaefer, Hamburg Media School

Auch die Hamburg Media School bietet seit September die Weiterbildung „Get on Set“ an, die den Absolvierenden einen Zugang und Einstieg in die Branche bieten möchte. Dabei handelt es sich um ein Trainee-Programm, bei dem aktuell 15 Trainees in unterschiedlichen Bereichen bei verschiedenen Unternehmen ausgebildet werden und zusätzlich in 8 Modulen und einem Spezialmodul Grundlagen sowie übergreifende Informationen zur Filmindustrie systematisch erlernen. „Wir wollen dabei kein Spezialwissen vermitteln“, erklärt Dr. Katharina Schaefer, die Geschäftsführerin der Hamburg Media School, „sondern einen Überblick und damit einen Zugang zur Branche schaffen. Im Idealfall beginnen die Absolvierenden so bereits mit einem Netzwerk, das ja so wichtig ist in unserem Bereich.“ Das Programm richtet sich vor allem an Menschen ab 25 Jahren, die schon einen Abschluss haben und in den Film quereinsteigen wollen. Dass es bereits für die erste Durchführung 180 Bewerbungen gab, zeigt die Notwendigkeit davon.

Wer hingegen schon über erste Erfahrung verfügt, kann sich bei der IDM auch um einen Platz beim Mentoring-Programm bewerben. Dieses verfolgt einen ähnlich niedrigschwelligen Ansatz, bei dem lokale Filmschaffende von international erfahrenen Branchenprofis beim Aufbau ihrer Karriere beraten werden und so nicht nur die jungen Leute, sondern auch der Standort Südtirol davon profitieren kann. (Die Bewerbung für 2022 sind bereits abgeschlossen, Informationen zum Programm gibt es hier: https://www.film.idm-suedtirol.com/de/location-development/mov-e-it/programma-mentoring)

Ausbildung, Weiterbildung, Vermittlung und bessere Arbeitsbedingungen: So könnte man das Quartett beschreiben, das es auch künftig möglich machen soll, dass die Filmbranche ein interessanter Arbeitsort bleibt für die unterschiedlichsten Ansprüche und Vorstellungen. Deutlich wird zum einen, dass es regional verschiedene Möglichkeiten und Zugänge braucht, und zum anderen, dass die Filmbranche das Problem bereits längst lösungsorientiert angeht.

Text Florian Krautkrämer
Illustration Oscar Diodoro
Veröffentlicht am 23.12.2022