Drei Länder für Zweitland

Lesedauer
Zwei Brüder, eine Frau und fatale Bombenanschläge: Der Südtiroler Regisseur und Drehbuchautor Michael Kofler feiert mit Zweitland Langspielfilmpremiere.

Das Polizeifahrzeug kommt auf der schlammigen Hofzufahrt zum Stehen. Am Brunnen vor dem Stall reinigt Anna gerade zwei große Milchkannen. Lautes blechernes Klappern ist zu hören. Forschen Schrittes nähern sich zwei Carabinieri-Beamte. Der Jüngere, Alessandro, drückt Paul ein Bündel Briefe in die Hand. Sein Vorgesetzter, Maresciallo Lombardo, wendet sich Anna zu. „Prima o poi si stancherà“, sagt er schroff zur jungen Frau. „Früher oder später werden Sie müde werden.“ Die Spannung ist geradezu greifbar: Hier begegnen sich zwei Welten voller Misstrauen und Feindseligkeit. Die wolkenverhangene Berglandschaft der Villnößer Dolomiten sorgt für die ideale düstere Stimmung.

Gewalt, die spaltet

Zweitland spielt im Südtirol von 1961. Bombenanschläge erschüttern das Land, das Österreich nach dem Ersten Weltkrieg an Italien abtreten musste. Jetzt wollen militante deutschsprachige Südtiroler gewaltsam eine Loslösung von Italien erwirken. Stattdessen erhöht der italienische Staat die Polizeipräsenz in Südtirol massiv. Von nördlich des Brenners kommt Unterstützung für die Attentäter. In diesen historischen Kontext bettet Regisseur Michael Kofler Zweitland ein. Es ist der erste Langspielfilm des gebürtigen Pusterers, der auch das Drehbuch verfasst hat. Einen, den Kofler zum Sprengstoff greifen lässt, ist Pauls Bruder und Annas Ehemann Anton (Laurence Rupp, bekannt aus der Netflix-Serie Barbaren). Der junge Vater muss nach Österreich fliehen. Zurück bleibt Antons Familie, die sich zusehends von dem Flüchtigen und der ausufernden Gewalt distanziert.

Die Idee zu Zweitland hat Michael Kofler bereits 2011 zu Papier gebracht, im Rahmen der ersten Ausgabe des RACCONTI Script Lab von IDM Film Commission Südtirol. Sein Drehbuch erzielte den ersten Platz. „In meiner Schulzeit wurde nicht viel über die Bombenjahre gesprochen. Als ich mich mehr für die Geschichte interessierte, hat sie mich nicht mehr losgelassen“, sagt Kofler. Derzeit lebt er in München, für Zweitland ist er in seine Heimat zurückgekehrt.

Take

Ein Blick auf beide Seiten

Identität, das schwierige Zusammenleben der Sprachgruppen, Konflikte, die Familien und Dorfgemeinschaften spalten, die kontroverse Frage, ob die Bombenleger Freiheitskämpfer oder Terroristen sind: In Zweitland verdichtet sich ein prägender Abschnitt Südtiroler Geschichte. Der Film will nichts beschönigen, nichts verherrlichen – für Regisseur Kofler ein notwendiger Balanceakt: „Ich sehe mich nicht als jemanden, der Position beziehen muss oder soll. Mir ist es wichtig, beide Konfliktparteien zu zeigen und zu verstehen.“

Antons Frau Anna (Aenne Schwarz, für ihre Rolle im Spielfilm Alles ist gut mehrfach ausgezeichnet) ist Lehrerin, eine moderne Frau, die sich für die gemischtsprachige Schule stark macht. Verständnis für die Anschläge ihres Mannes hat sie keines. Thomas Prenn (zweifacher Gewinner des Österreichischen Filmpreises für die Spielfilme Hochwald und Große Freiheit) verkörpert Antons Bruder Paul. Introvertiert und künstlerisch begabt, findet sich Paul in einem fatalen Zwiespalt wieder: Die italienische Polizei setzt ihn unter Druck. Er soll seinen Bruder verraten.

Drei Länder und die Location-Challenge

Produziert wird Zweitland von der Münchner Starhaus Filmproduktion (Produzenten: Wasiliki Bleser und Rainer Kölmel), in Koproduktion mit der Bozner Helios Sustainable Films GmbH (Produzent: Martin Rattini) und der Wiener KGP Filmproduktion (Produzenten: Gabriele Kranzelbinder und Barbara Pichler). Gefördert wird das Drama von FFF Bayern, BKM, Österreichischem Filminstitut und IDM Film Commission Südtirol, der Kinostart ist für 2024 geplant.

An Herausforderungen fehlte es nicht. „Es war extrem schwierig, geeignete Locations zu finden, an denen diese doch sehr arme Zeit im Südtirol der 1960er Jahre authentisch nachgespielt werden kann“, sagt Martin Rattini von Helios. Für die Suche zuständig war Location Scout Kathy Leonelli, auch Green Consultant der Produktion. Die Wiederbelebung sei gelungen, freut sich Rattini – auch dank der Arbeit von Szenenbildner Martin Reiter und Kostümbildnerin Monika Buttinger. Beide sind mehrfach für ihre Arbeit ausgezeichnet, Buttinger erhielt 2023 für Corsage den Österreichischen Filmpreis.

Die Dorfszenen in Zweitland wurden in Gais gedreht. Gefängnis und Carabinieri-Stützpunkt kommen in der Militärkaserne von Bruneck unter. Weitere Drehorte sind Meran, Vöran, Alt-Prags und das Villnößer Tal. Hier, im dichten Fichtenwald auf 1.670 Metern Meereshöhe, versammelt sich gerade die Filmcrew: Der Dreh am nahe gelegenen Laseiderhof – im Film der heimatliche Passlerhof von Anton und Paul – steht an. Es sind die letzten Drehtage.

Take

Überwundene Grenzen

Die Dialoge in Zweitland werden im Südtiroler Dialekt geführt, Aenne Schwarz und Laurence Rupp mussten mit einem Coach die Sprachfärbung trainieren. Die Schauspieler, die die Carabinieri-Beamten Lombardo und Alessandro geben (Francesco Acquaroli und Andrea Fuorto sind auch in der Netflix-Serie Suburra zu sehen), sprechen, wie im Film, nur Italienisch. Die Setsprache ist Englisch, das Team international.

Es geht professionell und locker zu. Unaufgeregt bespricht Regisseur Kofler mit den Darstellern die nächste Szene. Ein ganz gewöhnlicher Filmdreh? Zweitland ist der erste Langspielfilm zu den Bombenjahren überhaupt, mit einem Südtiroler Drehbuchautor, Regisseur und Hauptdarsteller, komplett in Südtirol gedreht. Und dem Film gelingt auch abseits von Kamera und Leinwand etwas Geschichtsträchtiges: Mit Italien, Österreich und Deutschland stammt der Großteil von Cast und Crew aus drei Ländern, die einst Konfliktparteien waren. Für Regisseur Michael Kofler eine außergewöhnliche Erfahrung, wie er im Interview mit einer Lokalzeitung verrät: „Es ist einfach großartig zu sehen, wie Teamarbeit entsteht, wo einst Grenzen existierten.“ Für Produzentin Wasiliki Bleser „hat und hatte Zweitland etwas Schicksalhaftes an sich“. „Zwar war für uns von Anbeginn klar, dass der Film eine Koproduktion zwischen Südtirol, Österreich und Deutschland sein müsste“, meint Bleser, „doch dass unsere drei Hauptdarsteller je aus den drei, in dieser europäischen Zeitgeschichte eng verflochtenen Produktionsländern stammen – Thomas Prenn aus Südtirol, Aenne Schwarz aus Deutschland und Laurence Rupp aus Österreich –, das wirkt schon von den Schicksalsgöttinnen berührt.“

Take
Text Lisa Maria Gasser
Foto (c) Martin Rattini for Starhaus Filmproduktion GmbH
Veröffentlicht am 22.12.2023

Im Detail