Die Bergbraut

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Das ehemalige Pilgerhospiz St. Florian bei Laag in der Gemeinde Neumarkt ist einer der Drehorte für den neuen Film von Maura Delpero. In Vermiglio o la sposa di montagna erzählt die Bozner Regisseurin eine erschütternde und berührende Geschichte abseits der Fronten des Zweiten Weltkrieges.

Weitab vom Wohngebiet mitten im Wald gelegen, wirkt die einstige Herberge, in der Pilger auf dem Weg nach Rom übernachteten, wie ein verwunschener Ort. Über eine knarzende Holztreppe geht Produzentin Francesca Andreoli in den ersten Stock des Klösterles, wie das Hospiz St. Florian von den Einheimischen liebevoll genannt wird. Düster ist es hier oben. Durch die winzigen Fenster dringt kaum Licht. Die Kälte bahnt sich an diesem grauen Novembertag unbarmherzig ihren Weg durch die alten Mauern. Kisten mit Puppen und Babybekleidung stehen herum, ein Kerzenständer, mehrere Standmikrofone. In einer Ecke wird ein Baby gestillt, ein paar Crewmitglieder trinken Tee aus Bechern.

„Silenzio!“ Der befehlende Ton einer weiblichen Stimme lässt alle im Raum den Atem anhalten. Ein kleiner Monitor gewährt den Blick ins Nebenzimmer. „Il monastero“, flüstert Francesca Andreoli erklärend, das Kloster. Auf dem Monitor ist ein möbelloser Raum zu sehen. Am Fenster stehen mehrere Gitterbettchen. Eine weiß gekleidete Nonne tritt ins Bild, bewegt sich behutsamen Schrittes auf eines der Bettchen zu, im Arm ein in Decken gewickeltes Baby. Plötzlich ein schriller Schrei. Unruhe kommt auf. „Stooop!“ Da hatte jemand wohl keine Lust auf Kamera. Auch andere Babys beginnen zu weinen. Mütter eilen an die Bettchen und beruhigen sie. Alle kommen aus der Umgebung, wurden für den Vormittag engagiert. Nach zehn Minuten kann der Dreh fortgesetzt werden. Es wird an diesem Vormittag noch mehrere Anläufe brauchen, bis die Szene mit der Nonne und ihrer kleinen Nichte Antonia im Kasten ist. Eine stille Szene, ein denkwürdiger Moment in diesem Film. „Ein Moment, der in die Tiefe geht“, sagt die Produzentin.

 

Eine Familie und eine berührende Geschichte

Vermiglio o la sposa di montagna spielt gegen Ende des Zweiten Weltkrieges. Die drei Schwestern Ada, Flavia und Lucia wachsen im kleinen Bergdorf Vermiglio im Trentino auf. Sie sind keine Mädchen mehr, aber jung und unerfahren. In der Familie, in der es weitere Geschwister gibt, bilden sie eine verschworene Gemeinschaft – bis das Schicksalsjahr 1944 vieles ändert und die Geschichte schließlich bis nach Sizilien führt. Was im weiteren Verlauf passieren wird, verrät Regisseurin Maura Delpero nicht, als sie sich während einer Drehpause kurz Zeit für ein Interview nimmt. Vermiglio o la sposa di montagna ist von Delperos eigener Familiengeschichte inspiriert, spielt an den Herkunftsorten aus dem Leben ihres Vaters und greift einige Elemente aus der Wirklichkeit auf – ihr Großvater war zum Beispiel wie der Vater im Film der Dorflehrer. „Als mein Vater im Jahr 2019 starb, kam in mir die Erinnerung an Geschehnisse auf, von denen ich aus Erzählungen wusste“, erklärt Maura Delpero. „Ich wollte nicht, dass dieser Teil der Historie verlorengeht, habe recherchiert. Dass daraus ein Film entstehen würde, war nicht geplant. Er kam aus meiner Seele, er ist eine Herzensangelegenheit.“

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Authentische Schauplätze

Gedreht wird vor allem im Trentino – unter anderem am Originalschauplatz in Vermiglio sowie am Tonalepass –, und in Südtirol. Im einstigen Pilgerhospiz spielen sowohl die Szenen im Kloster als auch jene auf der Almhütte, die eigens im Hinterhof des Gebäudes aufgebaut wurde. Zudem wurde für eine Traumszene, in der sich die schlafende Lucia in Sizilien wägt, ein Raum in eine sizilianische Landschaft verwandelt.

Nach der Dokumentation Nadea e Sveta und dem Drama Maternal hat Maura Delpero in Südtirol die ideale Location zum Drehen gefunden. Die Produktionsfirma Cinedora, die sie mit Francesca Andreoli, Leonardo Guerra Seràgnoli und Santiago Fondevila Sancet führt, bringt den Film in Koproduktion mit der französischen Charades Productions und der belgischen Produktionsfirma Versus sowie mit Rai Cinema auf die Leinwand. Das Filmprojekt wurde bereits mit dem ArteKino International Award und dem Coprocity Award ausgezeichnet und wird unter anderem von IDM Film Commission unterstützt.

Rund 60 Personen sind in die Produktion involviert. Die Schauspieler stammen aus Italien, einige aus dem Trentino. Martina Scrinzi aus Rovereto zum Beispiel, die als Lucia zu sehen sein wird. Für die 26-Jährige, die sich bisher auf das Theater konzentriert hat, ist es der erste Kinofilm, „und deshalb eine große Herausforderung“. Durch die Nähe der Kamera, die jeden Gesichtszug festhält, reiche es nicht, wie auf der Bühne, eine Person darzustellen. „Man muss diese Person wahrhaftig sein.“ Authentizität ist auch für die Regisseurin ein Prinzip. Damit die Schauspielerinnen und Schauspieler den Trentiner Dialekt richtig sprechen, wurde ein Experte herangezogen. Maura Delpero will jedes Detail des Geschehens nachzeichnen, will zeigen, was und wie es damals wirklich war. Bei den Recherchen hat sie erfahren, dass die Geschichte ihrer Familie kein Einzelschicksal war. Krieg spielt sich nicht nur an der Front ab. Er hinterlässt auch abseits der Schusslinien seine Spuren.

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Text Edith Runer
Foto Fabrizio De Blasio
Veröffentlicht am 29.03.2024

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