„Manche Dinge muss man einfach aussprechen“

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Drehbuchautor, Regisseur, Produzent, Schauspieler: Für das Biopic Persona non grata hat sich Antonin Svoboda (coop 99 Filmproduktion in Koproduktion mit der Bozner Albolina Film GmbH) zu 360° auf ein von Ex-Skirennläuferin Nicola Werdenigg inspiriertes Drama um strukturellen Machtmissbrauch, sexuelle Gewalt und transgenerationale Traumatisierung eingelassen. TAKE hat Svoboda bei den Dreharbeiten in Ratschings getroffen und über Herangehensweise und Herausforderungen gesprochen. Mit dabei: Hauptdarstellerin Gerti Drassl und seine Tochter, die Schauspielerin Maya Unger.
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Die Tiroler Ex-Skirennläuferin Nicola Werdenigg hat vor 5 Jahren im Zuge der MeToo-Debatte mit einem Interview über sexualisierte Gewalt in Österreichs Skisport eine mediale Lawine ausgelöst. Wann war für Sie klar, dass sie aus dieser Story einen Film machen wollen?

Antonin Svoboda

Das Leben schreibt oft die verrücktesten Geschichten. Ich habe Nicola Werdenigg zufällig vor 10 Jahren auf meiner Hochzeitsreise kennengelernt und ich bin mit meiner Frau über Facebook mit ihr in Kontakt geblieben. Dann ist ihr Mann gestorben, sie machte ihr Outing, und ich ließ sie erst mal in Ruhe. Ein Jahr später habe ich sie dann aber gefragt: Wie geht es dir mit dem Ganzen? Wir haben uns getroffen, sie hat mir mehr Hintergrund erzählt und das war der Moment, wo mich das Thema gepackt hat. Das ist so eine Geschichte, wo man das Gefühl hat, man kann seinem Schicksal nicht entkommen.

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Warum?

Antonin Svoboda

De facto hatte sie das Thema damals bereits seit 25 Jahren abgehakt – nach jahrelanger Therapie, einer guten Ehe, Kindern, einer erfüllten Sexualität. Doch dann gab es zwei Tage nach dem Tod ihres Mannes einen triftigen Grund, es wieder in den Fokus zu nehmen: den sexuellen Übergriff eines Nachbarn. Da habe ich Gänsehaut bekommen beim Zuhören.

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Nicolas Geschichte ist auch eine Familiengeschichte. Auch ihre Mutter Erika war erfolgreiche Skirennläuferin und diesem System ausgesetzt …

Antonin Svoboda

Das war der Aspekt, der mich eigentlich interessierte. Deshalb habe ich dann im Drehbuch den Fokus besonders auf dieses transgenerationale Trauma gelegt und es ausgebaut. Mich interessiert, was Kindern umgehängt wird, bewusst und unbewusst. Was pflanzt sich fort in Familien, und warum muss das alles so hinter verschlossenen Türen verhandelt werden, wo es seit 100 Jahren die Psychoanalyse gibt?

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Es geht in „Persona non grata“ also nicht primär um MeToo?

Antonin Svoboda

Nein, aber natürlich spielt es hinein. Auch die Tatsache, dass es in der ganzen MeToo-Debatte immer noch viel zu wenig um die Betroffenen geht. Ständig sorgen wir uns um den Erhalt eines Systems und sehen nicht die Menschen, die durch dieses System unter die Räder kommen. Das muss irgendwann aufhören.

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Damit Betroffene, die solche Missstände aufdecken, nicht mehr zur Persona non grata werden, wie schon der Titel des Films aufzeigt.

Gerti Drassl

Es gibt einen Satz, den ich in der Rolle der Andrea Weingartner im Film sage, der für mich superwichtig ist: Es muss aufhören, dass wir uns immer nur damit beschäftigen, wie man möglichst die Täter schützt.

Antonin Svoboda

Ja, manche Dinge muss man einfach aussprechen. Das ist beim Drehbuchschreiben nicht ganz einfach. Du willst nicht belehren, du willst eigentlich Emotionen schaffen, mehr Fragezeichen setzen als Aussagen treffen. Informationen in Filmen zu verhandeln, ist immer das Tödlichste. Doch in dem Fall muss man es, glaube ich, tatsächlich aussprechen.

Gerti Drassl

Ich bin total froh, dass wir das machen. Mich hat es unheimlich beschäftigt, dass Nicola damals im Standard-Interview gemeint hat, sie habe sich jahrelang selbst die Schuld gegeben. Mir wird durch dieses Projekt erst so richtig klar, wie unsere Gesellschaft Menschen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, immer noch in eine Ecke stellt, und sagt: das betrifft mich nicht. Doch wenn solche Dinge passieren, betreffen sie jeden von uns. 

Antonin Svoboda

Mir ging es auch darum zu erzählen, wie eine solche Haltung des Verdrängens immer neue Probleme schafft. Und welche Erleichterung es ist, sich solch schmerzhaften Dingen zu stellen. Erst dann kann das Leben woanders weitergehen, wird es plötzlich mannigfaltiger.

Maya Unger

Davon profitiert meine Generation jetzt schon. So ausgeprägt war das Bewusstsein für sexualisierte Gewalt sicherlich noch nie. Deshalb war der Schritt dieser MeToo-Welle auch so groß und wichtig. Dank der Generationen vor uns, dank vieler mutiger Frauen realisieren wir viel schneller, wenn wir in kritische Situationen kommen, trauen uns eher Stopp zu sagen.

Gerti Drassl

Für mich gibt es in der Beziehung zwischen meiner Filmfigur Andrea und ihrer Tochter Sara eine unglaublich wichtige Szene, in der Andrea ganz offen zu ihren Verletzungen steht, ihrer Tochter mit totaler Transparenz gegenübertritt. Nach dem Motto: ich zeige dir alles, was ich bin. Das ist für mich ein echter Akt der Liebe, durch den sich unheimlich viel verändert.

Maya Unger

Ja, da werden die Karten endlich auf den Tisch gelegt. Davor ist es für Sara ein Tapsen im Dunkeln. Weil du als Kind immer spürst, dass etwas nicht stimmt. Ein für mich essenzieller Satz in unserem Drehbuch lautet: Wenn du nicht weißt, wovor du Angst hast, aber spürst, dass da etwas ist, dann macht das noch viel mehr Angst.

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Wie viel Nicola Werdenigg steckt nun eigentlich in der Filmfigur Andrea Weingartner?

Antonin Svoboda

Nicola wollte ihre Geschichte nicht nacherzählt haben, deshalb haben wir eine fiktionalisierte Figur geschaffen. Vieles ist an ihr Leben angelehnt, und man kann sich in so einem Biopic Reality Bytes dazu denken. Die MeToo-Welle, den ÖSV, das Verhalten der Medien… Aber das Ganze ist keineswegs eine Biografie. Andrea Weingartner ist außerdem in einem ganz anderen State-of-Mind als Nicola. Werdenigg konnte ihre souveräne Medienarbeit nur machen, weil sie sich davor durch jahrelange Therapiearbeit bereits von diesem Trauma gelöst hatte. Als Betroffene hätte sie sich nie diesem Druck aussetzen können.

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Andrea ist dagegen noch weit mehr Betroffene? 

Antonin Svoboda

In der Fiktionalisierung braucht es ein Drama. Es braucht eine Spannungskurve, ein Für und Wider, es braucht Widerstände, es braucht Entwicklung. Nur zu erzählen, dass da jemand durchgeht, wie heißes Eisen durch Butter, reicht nicht. Nicola hat jede Drehbuchfassung gelesen und zu privates wurde gestrichen.

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Die Verantwortung ihr gegenüber besteht natürlich auch bei einer Fiktionalisierung?

Antonin Svoboda

Sicherlich. Doch ich fühle mich zum Beispiel auch allen Leistungsträger/-innen im Österreichischen Skiverband gegenüber verantwortlich. Mir geht es nicht darum, etwas oder jemanden anzupatzen, sondern in die Zukunft zu schauen, positive Veränderung anzustoßen. Die Herausforderung ist, den Film so hinzubekommen, dass die nicht total zumachen. Wir wollen schließlich das trojanische Pferd in die Tiroler Festung hineinkriegen. Und die ist sehr gut gemauert.

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Welche Reaktionen gab es dort bisher auf das Filmprojekt?

Antonin Svoboda

Der ÖSV war erst verhalten, gab dann aber seine Einwilligung zur Verwendung des Logos im Film. Ich denke, er wusste nicht recht, wie er die Wirkung eines solchen Projekts auf den Verband einschätzen soll. Wir wissen das letztendlich auch nicht. Wie der Film dann angenommen und interpretiert wird, ist eine eigene Geschichte.

Gerti Drassl

Das finde ich das Tolle am Film, dass er hoffentlich unglaublich verschiedene Reaktionen und Diskussionen hervorrufen wird. Denn jeder wird anders mit dem umgehen, was wir in die Geschichte einarbeiten.

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Sie haben zwölf Tage hier in Ratschings gedreht. Wieso Südtirol und nicht Tirol? Werdenigg kommt schließlich ursprünglich aus Mayerhofen.

Antonin Svoboda

Wir wollten auch in Tirol drehen, doch dort wollte man den Film nicht. Deshalb drehe ich nun das erste Mal in Südtirol, wo wir ein offenes Ohr gefunden haben – und ein Interesse daran, kulturell anspruchsvolle Kinoinhalte zu fördern.

Take

Wie schwierig ist es, im Netflixzeitalter solch anspruchsvolles Kino zu machen?

Antonin Svoboda

Noch ist Arthouse nicht abgeschafft. Doch natürlich sind Privatanbieter und Streamer daran interessiert, den Markt zu dominieren. Die sind auch nicht scharf darauf, Arthouse ins Programm aufzunehmen, denn sie wissen, dass es nicht die große Einschaltquote bringt. Wenn wir also weiterhin Kultur verhandeln wollen, und ich meine damit Kultur als gesellschaftlichen Diskurs, dann brauchen wir eine Filmförderung, die nicht bloß auf Mainstream und Zuschauerzahlen geht. Erst recht, weil die Budgets im Film infolge von Corona, mit der Inflation teurer geworden sind.

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Sie sind bei diesem Film Drehbuchautor, Regisseur, Produzent und Schauspieler. Ist das Ihr übliches Programm?

Antonin Svoboda

(lacht) Ja, mein Nachmittagsprogramm, vormittags bin ich noch Formel1-Pilot! Nun, da sind schon ein paar Dinge zusammenkommen, so etwas macht man nicht alle Jahre. Doch nachdem ich von Nicola ihre Geschichte geschenkt bekommen habe, habe ich mich da gewissermaßen selbst mit hineinverwoben. Es war mir auch ein Bedürfnis, einmal mit meiner Tochter Maya vor der Kamera zu stehen. Und es geht um ein Thema, das mir ein Herzensanliegen ist, da kann man sich schon auch mal ganz hineinlehnen.

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Text Susanne Pitro
Foto (c) coop 99 Filmproduktion
Veröffentlicht am 21.02.2023

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