3 Fragen an ... Omar Rashid, Experte für virtuelle Realität

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Beim vergangenen Film Jour Fixe am 15. Dezember präsentierte der Regisseur, Produzent und Designer Omar Rashid, Mitbegründer des Unternehmens Gold Enterprise aus Florenz, die Möglichkeiten, die immersive Technologie bietet. Mit TAKE hat er über das Revolutions- und Risikopotenzial der VR gesprochen.

Take

Über welches technologische und kreative Potenzial verfügt die Virtual Reality im audiovisuellen Bereich?

OMAR RASHID

Im Kino, also meinem Fachbereich, besteht der grundlegende Unterschied der Virtual Reality im Vergleich zum traditionellen Filmerlebnis darin, dass man sich mitten im Geschehen befindet und nicht davor. Die visuelle Grammatik und das Storytelling verändern sich also stark. Im Kino bringt uns der Blick in die Kamera zum Beispiel aus der Erzählung hinaus, während in der virtuellen Realität genau das Gegenteil passiert. Indem wir „von innen“ am Geschehen teilhaben, fühlen wir uns als Teil der Geschichte. Die VR ist das perfekte Instrument, um Ereignisse zu erzählen, die an unerreichbaren Orten spielen. Technisch gesprochen filmen die Kameras alle Blickwinkel aus dem Zentrum mit mehreren Objektiven. Die Bilder werden dann in der Postproduktion durch das sogenannte „Stitching“ „zusammengenäht“, um ein einziges 360-Grad-Bild zu erhalten. Während des ersten Lockdowns haben wir zum Beispiel mit der Rai (öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Italiens) mittels virtueller Realität die leeren Plätze von fünf italienischen Städten erlebbar gemacht haben: Florenz, Rom, Venedig, Neapel und Mailand. Das war ein gefühlsstarkes Erlebnis, da es den Eindruck vermittelte, als sei man in dem Moment an genau dem Ort.

Take

Die VR eröffnet also neue Möglichkeiten. Ist alles positiv oder gibt es auch Risiken?

OMAR RASHID

Die VR ist eine individuelle Erfahrung, daher wird das Gefühl verstärkt, isoliert zu sein. Deshalb ist die Grundidee von Gold, eine kollektive, gemeinsame Dimension zu bieten, in der eine Gruppe Menschen zeitgleich denselben Inhalt ansieht, sodass jener soziale Kontext nachgeahmt wird, der durch das Medium selbst ausgeschlossen wird. Es ist aber eben „nur“ ein Medium, es ist nicht an sich positiv oder negativ. Alles hängt davon ab, wie es genutzt wird.

Take

Wo steht die Virtual Reality heute? Glauben Sie, sie wird immer populärer werden?

OMAR RASHID

Wir befinden uns noch in der Anfangsphase. Diese Technologie ist unter Fachleuten im Moment weiter verbreitet als in der Öffentlichkeit. Derzeit setzt man vor allem auf die Gaming-Industrie, die aber nur einen kleinen Teil des gesamten Potenzials der VR ausmacht. Sie könnte in vielen Bereichen eingesetzt werden, vom Handel über die Medizin bis zur Forschung. Es wird aber wohl noch ein paar Generationen dauern, bis diese große Innovation fester Bestandteil unseres Alltags wird. Sicher ist, dass die VR eine völlig neue Sprache ist. Sie ersetzt nichts, auch nicht das Kino oder das Theater, sondern bietet einfach einen zusätzlichen Weg.

Veröffentlicht am 19.12.2022